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Raffinesse im Blick

Auch dieses Bild stammt aus der Sammlung Giustiniani in Rom. Der junge Maler Gerard van Honthorst aus Utrecht hat wohl einige Zeit im Palast der Giustiniani gewohnt. Zusammen mit ihm bringt eine ganze Gruppe von Malern die neue, dramatische Malweise Caravaggios in die Niederlande. Man nennt sie die "Utrechter Caravaggisten". Ihre Bilder wiederum sieht auch ein junger Maler aus Leiden: Rembrandt Harmenszoon van Rijn.

Er muss begeistert gewesen sein - vor allem von der Lichtführung. Das zeigt dieses Frühwerk, bekannt als "Der Geldwechsler". Oft verbindet man es auch mit dem biblischen Gleichnis vom reichen Kornbauern: Ein Bauer hat eine üppige Kornernte eingefahren. Um seinen neuen Reichtum zu horten, will er seine alten Scheunen abreißen und große neue bauen. Daraus wird aber nichts: "du Narr", sagt Gott, "noch heute Nacht wirst Du sterben. Und wem gehört dann Dein Reichtum?"

Die Waage, Münzen und Geldsäcke, dicke Kassenbücher, Schuldscheine und Rechnungen, wie angestrahlt - auch Rembrandt benutzt das dramatische Licht, um den Charakter des Geizkragens hervorzuheben. Aber im Gegensatz zu Caravaggio zeigt er die Quelle des Lichts: eine Kerze. Dadurch wirkt die Szene noch geschlossener und realistischer. Gerade 21 Jahre alt ist Rembrandt, als er dieses Bild 1627 malt. Ein paar Jahre später ist er so berühmt, dass er immer mehr Aufträge aus Amsterdam bekommt.

Amsterdam - die reichste Stadt Europas, mitten im Goldenen Zeitalter der Niederlande. Hier hat Rembrandt bald eine große Werkstatt mit vielen Schülern. Sie bezahlen ihm hundert Gulden im Jahr - ein enormes Lehrgeld. Aber es lohnt sich: Rembrandt ist ein großartiger Lehrer, der jeden Schüler dazu bringt, das meiste aus seinem Talent zu machen. Und er weiß auch selbst durchaus, wer er ist: von kaum einem anderen Künstler haben wir so viele Selbstporträts.

Zudem liebt es Rembrandt, in verschiedene Rollen zu schlüpfen - wie hier in die Rolle des biblischen Simson, der seinen Schwiegervater bedroht. Im Laufe der Jahre hat er sich eine große Sammlung aus Kostümen und Requisiten, aus Kunstwerken und fantastischen Sammlerstücken aufgebaut. Dafür aber gibt er nach und nach mehr Geld aus als er sich leisten kann. Zugleich kommt sein Malstil langsam aus der Mode. Die Zeiten werden schlechter, Holland führt Krieg, und viele Aufträge schnappen ihm seine Schüler weg - Rembrandt hat sich seine eigene Konkurrenz erschaffen. Mit fünfzig Jahren ist der gefeierte Meister bankrott. Er muss seine Sammlung und sein Haus verkaufen und in eine bescheidene Wohnung ziehen. Erst später strahlt sein Ruhm so hell wie nie zuvor.

Heute ist der Rembrandtsaal das Herz der Berliner Galerie. Egal ob man der nordeuropäischen oder der italienischen Malerei folgt: der Weg führt in jedem Fall hierher, in den einzigen achteckigen Raum des Gebäudes. Sechzehn Werke Rembrandts hängen in Berlin. Damit hat die Gemäldegalerie die größte Sammlung außerhalb der Niederlande. Auf der ganzen Welt gibt es noch knapp dreihundertfünfzig echte Rembrandt-Gemälde. Einstmals dachte man, es seien viel mehr - aber die Hälfte aller "Rembrandts" sind nach und nach als Werke von Schülern oder Nachahmern entlarvt worden.

Darunter auch ein Bild, das lange beinahe mystisch verehrt wurde: der Mann mit dem Goldhelm. Auch das früher berühmteste Bild der Galerie hat Rembrandt nicht gemalt - das hat die moderne Forschung bewiesen. Wir wissen bisher nicht, wer es gemalt hat. Wir wissen noch nicht einmal, wen es darstellt. Es könnte der Kriegsgott Mars sein oder einfach der Vorsitzende einer Schützengilde.

Denn was am Bild zuerst auffällt, ist der Goldene Helm - ein Prunkhelm, schon damals längst aus der Mode. Vor allem er hat das Misstrauen der Wissenschaftler erregt. Zunächst die Malweise: die Farbe ist dick aufgetragen, die Oberfläche wirkt fast wie ein Relief. Schon das ist ungewöhnlich. Dazu kommt das extreme Licht - für Rembrandts Verhältnisse allzu effektheischend. Und schließlich das Motiv selbst: im Mittelpunkt steht nicht der Mensch, sondern alleine der funkelnde Helm.

Prof. Jan Kelch, Direktor der Gemäldegalerie 1996 - 2004:

"Rembrandt wusste genial mit Hell und Dunkel umzugehen und hat auch Freude gehabt an der Wiedergabe von Kostümstücken oder auch glänzenden Helmen - aber so isoliert ein Motiv darzustellen...! - schon ganz früh wurde gesagt, von einem berühmten Kunsthistoriker um 1900: "es ist das Stillleben eines Helmes", und es hätte damals schon zu denken geben müssen. Uns hat's dann wirklich zu denken gegeben, und das ist der Grund, warum das Bild dann wirklich en detail untersucht wurde."

Teil dieser Untersuchungen war ein ganz neues Verfahren: die Neutronenautoradiographie. Dabei arbeiten die Kunsthistoriker und Restauratoren mit Atomphysikern zusammen: im Berliner "Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie" bestrahlen sie das Bild mit Neutronen. So werden Atomkerne in der Farbschicht aktiviert. Sie geben nun ihrerseits Strahlung ab - und zwar je nach Farbe unterschiedlich lange. Diese Strahlung wird sichtbar, wenn man nacheinander Filme auf das Bild legt.

Claudia Laurenze-Landsberg, Restauratorin:

"Der erste Film liegt nur für zwei Stunden, der wird geschwärzt von den kurzlebigen Isotopen - das wäre in unserem Fall Mangan in brauner Farbe. Also, auf dem ersten Bild sehen wir hauptsächlich die Verteilung brauner Farbe im Bild. Dann kommt der Film runter, der nächste Film kommt erst auf das Bild, wenn Mangan abgeklungen ist, der liegt dann einen Tag und wird im wesentlichen geschwärzt durch kupferhaltige Pigmente, das wären Azurit, Malachit, Grünspan - also grüne und blaue Farben können wir auf dem zweiten Film erkennen. Der dritte Film liegt dann drei Tage, und so können wir eben auf verschiedenen Filmen verschiedene Farben darstellen."

Um die Farben genau zuordnen zu können, wird zusätzlich die Gamma-Strahlung gemessen. Der Clou an der Sache: die Filme zeigen auch die Farben, die später übermalt wurden. So konnten die Forscher beim Mann mit dem Goldhelm die Vorzeichnung sichtbar machen. Und sie machte alles klar.

Claudia Laurenze-Landsberg:

"Wir sehen einen sehr zögerlichen Pinselstrich, einen langsamen Pinselstrich, der immer wieder absetzt, dadurch entstehen so Farbklumpen - dieser zögernde Pinselstrich ist völlig untypisch für Rembrandt. Von Rembrandt kennen wir einen recht schnellen Pinselstrich, der oft auch noch mit einem Schwung nach oben geht."

Kein Zweifel also - ausgerechnet der spätere Direktor des Museums selbst musste bekanntgeben: das Bild kann noch nicht einmal von einem der Schüler Rembrandts stammen.

Prof. Jan Kelch:

"Wir sind alle, glaube ich, dem gleißenden Glanz des Goldhelms auf den Leim gegangen - aber genau das ist der Punkt: das dürfen wir hier nicht. Das Bild, das hat ein holländischer Kollege mal gesagt, das ist rembrandtesker als ein echter Rembrandt. Das heißt, der, der das gemacht hat, der wollte Rembrandt übertreffen in bestimmten rembrandtesken Merkmalen - also hier des Kontrastes zwischen dunkel und hell. Und das hat natürlich auch zur Wirkung des Effektvollen, Anbiederischen beigetragen. Die Ausdrucksmittel des echten Rembrandt sind zurückhaltender und zeigen viel mehr Raffinement."

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Porträt von Cornelis Anslo aus dem Jahre 1641. Rembrandt stand hier vor einem großen Problem: Anslo, ein reicher Tuchhändler, war Prediger einer Mennoniten-Gemeinschaft. Die Mennoniten aber sind strenge Protestanten, für sie zählt nur das Wort Gottes - Bildern stehen sie sehr skeptisch gegenüber.

Das macht auch diese Radierung anschaulich, auch sie von Rembrandt und zur gleichen Zeit entstanden: Bücher im Vordergrund, an der leeren Wand ein dicker Nagel - das zugehörige Gemälde aber lehnt umgedreht an der Mauer.

"Nun denn, Rembrandt, male Cornelis' Stimme,
das Sichtbare ist der unwichtige Teil von ihm:
Das Unsichtbare erfährt man nur durch die Ohren.
Wer Anslo sehen will, muss ihn hören."

Das schrieb der Dichter Joost van den Vondel. Und Rembrandt löste die Aufgabe auf brillante Weise. Alleine ein Drittel des Bildes nimmt die große, aufgeschlagene Bibel ein, mit einem Schlaglicht hell beleuchtet. Sie ist die Quelle der Worte. Anslo selbst spricht gerade: seinen Mund halb geöffnet, beugt er sich eindringlich vor. Man glaubt fast, seine Stimme zu hören.

Diesen Effekt hat Rembrandt durch einen brillanten Kunstgriff noch gesteigert: neben Anslo hat er dessen Frau Aeltje dargestellt. Sie lauscht andächtig den Worten ihres Mannes. Ihr Kopf und ihre Hände im Schoß sind die hellsten Stellen des Bildes, hier schaut man unwillkürlich zuerst hin. So macht Rembrandt klar: am wichtigsten ist es, in Ruhe zuzuhören. Und das Sehen? Aeltjes Blick richtet sich wiederum auf die Bibel - damit schließt sich der Kreis.

Den Mittelpunkt des Bildes aber bildet Anslos ausgestreckte linke Hand. Noch ein genialer Effekt: egal von wo man das Gemälde anschaut - immer scheint der Prediger seine Hand dem Betrachter gerade entgegen zu strecken, quasi aus dem Bild heraus. Eine Einladung an alle, dem Wort zuzuhören.

Rembrandt hat also sein Dilemma gelöst, indem er mit Hilfe des Lichtes die Blicke der Betrachter lenkt. Er hat aus einem Porträt ein Doppelporträt und daraus ein Historienbild gemacht: er malt nicht nur einen Mann, sondern eine Geschichte vom Hören.