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Das Colosseum - hinter den Kulissen

Schon früh morgens strömen die Zuschauer in die Arena. Der Beginn: Die pompa, die Parade der Gladiatoren hält Einzug durch die porta triumphalis, den Haupteingang im Westen. Mit ihnen - zum Tode Verurteilte. Von ihren Verbrechen künden Schrifttafeln.

Am Vormittag finden Tierhetzen statt - die venationes, nachgestellte Jagdszenen. Bis zu 5000 Tiere metzeln die Kämpfer schon mal an einem einzigen Tag nieder. Löwen, Tiger, Panther, Leoparden, Elefanten, selbst Nashörner. Exotische Tiere aus fernen Ländern starben hier zur Volksunterhaltung. Aber auch Stiere, Bären, Wildschweine und Hirsche aus nördlichen Gefilden - eine exakte Topographie römischer Expansion.

Eine Art Hinterlassenschaft der wilden Tiere stellen sind die verschiedenen Pflanzenarten dar, die teilweise noch heute im Colosseum sprießen und gedeihen. Den Samen brachten die Tiere aus aller Herren Länder mit; die Pflanzen konnten sich im milden Klima Roms über die Jahrhunderte in der Arena ausbreiten.

Aus dem Nichts erscheint ein ganzes Rudel Leoparden. Die Tierkämpfer, die venatores, erwarten die hungrigen Raubkatzen. Ein erster Blickkontakt, die Jagd beginnt. Dabei ist man durchaus auf Chancengleichheit bedacht: Scharfen Krallen und reißenden Zähnen stehen Lanze und Schild gegenüber. Ein ganz besonderer Thrill: manche Kämpfer müssen nackt antreten.

Die Römer rekrutierten die Venatores aus Sklaven und Gefangenen. Ihre Kampfklasse erreichte zwar nicht das Ansehen der Gladiatoren, ihr Leben setzten sie dennoch aufs Spiel. Aber man hetzte auch Tiere aufeinander: Elefanten gegen Stiere, Löwen gegen Pferde oder Panther gegen Ziegen. Der Bedarf an wilden Tieren war immens, ihre Beschaffung verschlang Unsummen. In Nordafrika hatten die Statthalter größte Schwierigkeiten den Anfragen nachzukommen. Besonders begehrt waren Löwen und Leoparden. Jäger haben den Raubkatzen eine Falle gestellt. Gazellen, Schafe und Ziegen sollen ihnen Appetit machen. Einmal in der Absperrung mit dem Netz, stechen die Häscher mit Lanzen auf die Tiere ein. Es bleibt nur ein Fluchtweg - aber der hölzerne Verschlag wird ihr Verhängnis. Auf Pferdekarren transportiert man sie in den sicheren Tod.

Am Hafen angelangt, werden schon andere Tiere auf das Schiff getrieben. Antilopen und Strauße gelangen über die Landungsbrücke aufs Deck. In dieser Holzkiste tragen die Männer vielleicht die Leoparden. Die Matrosen hissen die Segel, das Schiff legt ab. Und nimmt Kurs auf Ostia, den Hafen vor den Toren Roms. Vor der Ankunft in der Arena verlädt man die Tiere ein letztes Mal auf kleinere Boote, flussaufwärts. Von den Ufern des Tiber ist es dann nicht mehr weit bis zu den Käfigen des Amphitheaters, ihrer letzten Station vor dem Spektakel.

Einmal in Gefangenschaft, reizen die Wärter, die bestiarii, die Tiere bis aufs Blut. Vor den Augen der Muttertiere quälen sie ihre Jungen. Beliebt ist auch Salz auf frische Wunden. Oder sie verfüttern Menschenfleisch - die Raubkatzen sollen auf den Geschmack kommen. Denn rasende Tiere garantierten eine umso blutigere Show.

Sechs Meter unter der Arena: Kaiser Domitian, der im Jahre 89 n.Chr. die Nachfolge seines verstorbenen Bruders Titus antrat, ließ die Arena mit Gängen und Versorgungsschächten unterkellern. Das Personal verfügte über fünfzehn verschiedene Gänge, um das Spektakel hinter den Kulissen vorzubereiten. Im Minutentakt hievten Aufzüge und Plattformen Tiere, Menschen und Bühnenbilder ins Kampffeld. Der Gestank der Raubkatzen vermischte sich mit dem Schweiß der Sklaven und dem Ruß der Fackeln. Ein furchterregendes Labyrinth.

In diesen Halterungen aus Metall steckten die Pfosten, die die Aufzüge stützten. Über Holzwinden zogen die Sklaven an Seilen. 28 Aufzüge gab es anfangs - und man brauchte allein 224 Männer, um die Tiere gleichzeitig nach oben zu transportieren. Später sollten über 60 Aufzüge in Betrieb genommen werden. Über Falltüren gelangten die gereizten Leoparden in die Arena. Das Todesspiel konnte beginnen.

Bald aber reichten die Tiere allein nicht mehr. Einmal süchtig, verlangte das Volk nach immer neuem Nervenkitzel. Für Aufwiegler, Brandstifter und Kriminelle sprach die römische Justiz ein besonders abschreckendes Urteil: damnatio ad bestias - der Tod durch Raubtiere.

Zur Mittagszeit warf man die Verurteilten den wilden Tieren zum Fraße vor. An einen Pfahl gefesselt, erwartet ein Todeskandidat seine Strafe: Ein Leopard springt ihn an und wird ihm das Fleisch von den Knochen fetzen. Zur besseren Unterhaltung wurden werden solche Szenen manchmal in mythologische Geschichten eingebaut - die Phantasie der Römer war grenzenlos.

Deus ex machina, so hatten die Griechen das plötzliche Auftauchen einer Gottheit in einem Bühnenstück genannt. Die simple Technik eines Krans - mehr brauchte es nicht für diesen antiken Special-Effect. Die römischen Kaiser dagegen inszenierten ganze Welten für das Volk. Ausgeklügelte Bühnentechnik im Untergeschoss sorgte für Schaudern und Staunen. Nicht nur Tiere fuhren mit den Aufzügen in die Arena - sondern, auf Plattformen vormontiert, ganze Kulissen für epische Szenen.

Jeder kannte etwa die Sage von Orpheus: durch den Klang seiner Lyra bezähmte er wilde Tiere. In einer Art Realityshow der Antike steckte man also einen Gefangenen in eine Verkleidung und schickte ihn in die Arena. Dort sang er den Bestien ein liebliches Lied -

Aber er selbst lag da, zerfleischt von hässlichen Bären. Das nur war es, was allein wider die Sage geschehen.

- so beschreibt Martial den vorhersehbaren Ausgang im wahren Leben. Einfacher, aber nicht weniger populär: die lebende Fackel. Hierzu gossen die Helfer eine brennbare Flüssigkeit auf die Kleider der Gefangenen und zündeten sie an. Das Publikum genoss das Lichtspiel bei einem stimmungsvollen Sonnenuntergang. Nach den Aufführungen war der Sand blutdurchtränkt. Immer wieder rückten Sklaven aus, um frischen Sand aufzutragen. Gliedmaßen und Eingeweide sammelte man in Karren ein und brachte sie ins Untergeschoss.

Währenddessen liefen Händler durch die Sitzreihen der Arena und verkauften leckere Snacks an die plebs, das einfache Volk. Auch zur Mundhygiene blieb Zeit - schon die alten Römer kannten Zahnstocher. Zugleich stieg die Aufregung, denn nach der Mittagspause war es Zeit für die wahren Helden der Spektakel. Mancher Fan verewigte noch schnell seine Idole in Stein - schon vor zweitausend Jahren gab es Graffiti.